hyperraum
Casjen hat gerade seinen Master in Literarischem Schreiben und Lektorieren abgeschlossen, er ist Mitherausgeber eines online Magazin von gender non-konformen Menschen für gender non-konforme Menschen und arbeitet als Lektor. Außerdem ist er selbst Autor und hat sich vor einiger Zeit dazu entschlossen, auf seinem privaten Instagram-Account politische Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu leisten. Casjen ist eine nicht-binäre trans∗ Person und sein Pronomen ist er.
Was bedeutet für dich der Begriff der Gleichberechtigung?
Das ist eine ziemlich schwierige Frage, finde ich. Gleichberechtigung bedeutet ja erst mal, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Für mich ist das leider eine unerreichbare Utopie, weil Menschen in Machtpositionen, die von Privilegien profitieren, dazu bereit sein müssten, ihre Machtpositionen aufzugeben, sich wirklich aktiv mit ihren Privilegien auseinanderzusetzen und internalisierte Denk- und Handlungsmuster neu zu lernen, um auch nur ansatzweise eine Form der Gleichberechtigung zu erreichen. Das wird meiner Meinung nach nicht so umfangreich passieren, dass alle Menschen irgendwann die gleichen Rechte haben werden – oder zumindest in so ferner Zukunft, dass ich mir die Jahreszahl nicht vorstellen kann. Ich denke aber trotzdem, dass es wichtig ist, immer weiter für marginalisierte und diskriminierte Personen und Gruppen einzustehen und zu kämpfen, um deren Situationen zu verbessern.
Welche Rolle spielt deiner Meinung nach unsere Sprache in diesem Zusammenhang?
Ich weiß manchmal nicht, ob Kommunikation und Sprache dabei helfen, für Gleichberechtigung zu sorgen, aber würde es mir wünschen. Manchmal will ich in all diesen Kämpfen mit bestimmten Menschen und Gruppen gar nicht kommunizieren und sprechen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Art des inklusiven Sprechens und Kommunizierens, die ja eine Art der Gleichberechtigung herbeiführen soll, eben nur in unseren Kreisen bleibt und sich nur dort verbreiten – wenn überhaupt. Deswegen denke ich aber nicht, dass wir weniger auf unsere Ausdrucksweise und Kommunikation miteinander achten sollten. Aber frustrierend ist das trotzdem.
Hast du also bereits Diskriminierung durch Sprachgewohnheiten anderer erfahren?
Ich denke manchmal, dass es übertrieben klingt, wenn ich auf solche Fragen mit »Ja, eigentlich ständig« antworte. Es ist aber schon so, dass ich mir ziemlich oft Aussagen anhöre, durch die ich mich exkludiert, herabgewürdigt oder diskriminiert fühle. Da geht es manchmal um total kleine Sachen, wenn Menschen zum Beispiel »Liebe Studentinnen und Studenten« sagen, weil sie sich inklusiv ausdrücken möchten, dann sitze ich oft da und fühle mich als nicht-binäre Person explizit ausgeschlossen. Das verletzt schon. Auch wenn Menschen »Frauenärz∗tin« statt »Gynäkolog∗in« sagen – das macht mich tatsächlich auch betroffen, weil ich ja auch zu meiner Gynäkologin gehe und eben keine Frau bin. Oder wenn Menschen bestimmte Worte benutzen, die einfach nicht cool sind, um trans∗ Menschen als Fremdbezeichnung zu beschreiben. Ich bin natürlich keiner Person böse, die so was sagt, weil sie es nicht besser weiß – aber wenn ich weiß, dass ich das einer Person schon mehrfach erklärt habe und dadurch merke, dass sie gar keine Lust hat, sich Mühe zu geben oder mit dem Thema zu beschäftigen, ist das verletzend.
Durch meinen vorangeschrittenen Transitionsprozess haben sich meine Erfahrungen in dem Bereich ziemlich verschoben. Während meines Outings wurde ich immer mal wieder mit Menschen konfrontiert, die mir meine Identität absprechen wollten und mir argumentativ erklärt haben, warum ich nicht trans∗ sei. Besonders zu Beginn meines Transitionsprozesses, als ich noch weiblich gelesen wurde, wurden mir sehr häufig extrem unangebrachte Fragen gestellt, vor allem von fremden Personen. Dass es in Ordnung sei, trans∗ und nicht-binären Menschen solche übergriffigen Fragen zu stellen, ist ein in unserer Gesellschaft sehr tief verankertes Narrativ, das unbedingt abgebaut werden muss. Generell habe ich festgestellt, dass gegenüber trans und nicht-binären Menschen eine viel geringere Barriere zu herrschen scheint, was das Stellen von privaten Fragen angeht. Ich verstehe, dass Menschen vielleicht einfach an bestimmten Prozessen interessiert sind, aber es ist trotzdem nicht cool, mich einfach so nach meinem Privatleben zu fragen und eine Antwort einzufordern – ich bin ja auch nur ein Mensch.
Wie gehst du mit dieser Thematik um?
Ich gehe unterschiedlich damit um. Früher habe ich oft versucht, mit Menschen zu diskutieren und sie aufzuklären. Mittlerweile verteile ich meine Kapazitäten sehr gezielt. Wenn ich mit einer Person und ihren Aussagen nicht umgehen möchte, dann entferne ich sie aus meinem Leben, ich bin da sehr leidenschaftslos geworden und auch ziemlich abgestumpft. Eigentlich ist das aber auch ein ziemlicher guter Prozess für mich, weil ich so sehr viele Menschen aus meinem Leben aussortiert habe, die langfristig vermutlich sowieso keine guten Freund∗innen, Partner∗innen oder Bekanntschaften gewesen wären. Generell habe ich aufgehört, über meine Diskriminierungserfahrungen zu diskutieren. Wenn ich mich diskriminiert fühle, dann ist das so, das ist nichts, was in irgendeiner Weise zur Diskussion steht. Das hat die entsprechende Person dann zu akzeptieren und damit umzugehen, oder sie muss eben mit den entsprechenden Konsequenzen leben, beispielsweise dem Entferntwerden aus meinem Leben.
Was würdest du generell im Bezug auf Gleichberechtigung aktuell an unserer Sprache kritisieren, was empfindest du als problematisch?
Ich finde es oft schwierig, wie viel noch zur Diskussion gestellt wird. Wenn eine marginalisierte Gruppierung sagt, dass sie sich von bestimmten Begriffen oder Aussagen diskriminiert, herabgewürdigt oder anderes fühlt, dann steht es für mich außer Frage, diese Begriffe nicht (mehr) zu verwenden. Ich weiß, dass privilegiertere Menschen häufig nicht verstehen können, was jetzt so schlimm an einem bestimmten Wort sein soll, aber Sprache ist nun einmal Macht. Und diese Macht in Bezug auf andere Menschen zu missbrauchen, nur weil man bestimmte Privilegien innehat, ist einfach nicht in Ordnung. Da kann man auch noch so sehr angeblich für Gleichberechtigung sein – wenn man nicht einmal bereit ist, den Machtmissbrauch in der eigenen Sprache abzubauen, zeugt das für mich einfach nur von Sturheit.
Was würdest du gerne an unserer Sprache verändern und wieso?
Als Autor und Literaturwissenschaftler würde ich mir wünschen, dass mehr Menschen verstehen, dass Sprache nicht feststehend ist. Sprache entwickelt sich immer weiter. Es gibt zum Beispiel ganz viele verschiedene Entwicklungsstufen der deutschen Sprache: Momentan sprechen wir beispielsweise Neuhochdeutsch (oder Neoneuhochdeutsch, je nach Quelle), noch vor 400 Jahren waren wir allerdings bei Frühneuhochdeutsch. Das ist eine Sprachstufe, die einige deutschsprachige Menschen bestimmt gar nicht mehr verstehen würden. Dieser Sprachwandel ist auch im Kleinen festzustellen: Vor zwanzig Jahren haben die Menschen ganz anders gesprochen als jetzt, auch vor fünf Jahren war Sprache anders. Neue Worte ergänzen unseren gesamtgesellschaftlichen aktiven Wortschatz, während andere Worte ihn verlassen. Das kann ganz schnell gehen: Noch vor zwei Jahren hätten die meisten sich unter »Covid-19« vermutlich nichts Konkretes vorstellen können, jetzt ist das kein Problem mehr. Sprache ist nie feststehend, sondern verändert sich immer durch äußere Einflüsse, Globalisierung, Politik, Gesellschaft, Popkultur und aktuelles Geschehen.
Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen akzeptieren und annehmen, dass viele Aktivist∗innen und Allys versuchen, unsere Sprache inklusiver zu gestalten. Ich kann leider nur sehr schwer nachvollziehen, warum viele das als eine Einschränkung wahrnehmen – also dieses typische Argument »Bald darf man gar nichts mehr sagen!« zieht in meinem Kopf überhaupt nicht. Ich persönlich habe so viel Spaß daran, mit Sprache zu experimentieren, neue Worte zu lernen, neue Sprechweisen zu erkunden, neue Formen des Genderns zu entwickeln und für mich zu entdecken, dass ich ganz oft ein Problem damit habe, zu verstehen, wie Menschen keine Freude daran haben können, so ein riesiges Universum der Möglichkeiten eröffnet zu bekommen und dafür auf ein paar wenige Worte »verzichten« zu müssen.
Was bedeutet gendergerechte Sprache und gendergerechtes Schreiben für dich?
Bei genderinklusiver Sprache finde ich vor allem wichtig, dass diese nicht in binären Kategorien gedacht wird. Ganz viele Menschen nutzen beispielsweise Formulierungen wie »Als Student oder Studentin muss man X machen«, »Hallo an alle Studentinnen und Studenten«, usw. und denken, dass sie dadurch genderinklusiv sprechen. Ich möchte diesen Menschen auch gar keine bösen Absichten unterstellen. Ich glaube wirklich, dass viele dieser Menschen sich sehr bemühen. Aber um genderinklusiv zu sprechen, müssen wir lernen, dass es nicht nur Frauen und Männer gibt, sondern auch Menschen, die sich außerhalb des binären Zweigeschlechtersystems verorten. Es ist also wichtig, diese Menschen auch in die Sprache einzubeziehen, indem tatsächlich gegendert wird, beispielsweise durch Formulierungen wie »Student∗innen«. Viele Menschen finden diesen Glottalstopp nicht so schön, aber tatsächlich nutzen wir den in unserer Alltagssprache auch total oft, denn wir kennen viele Wörter, in denen diese kleine Pause vorkommt, beispielsweise »geöffnet«. Hat sich über dieses Wort schon mal jemand beschwert? Bei mir jedenfalls noch nicht.
Wo siehst du Probleme oder Hindernisse beim Erreichen einer gendergerechten Sprache?
Ein Problem sehe ich hier: Ich arbeite selbst manchmal beispielsweise mit Kindern und Jugendlichen mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. Ich sehe auf jeden Fall den Punkt, dass es für diese Personen komplizierter sein kann (aber nicht muss), sich an neue Schreib- und Sprachmuster wie das Gendern zu gewöhnen, aber denke auch, dass es möglich ist. Gleiches gilt für Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Ganz wichtig ist für mich hierbei: Es geht gar nicht darum, alles immer perfekt zu machen. Ich vergesse auch manchmal zu gendern oder sage mal »Freundinnen und Freunde« anstatt »Freund∗innen«. Es ist in Ordnung, Fehler zu machen. Ich finde es aber dennoch wichtig, es im Rahmen der eigenen Kapazitäten zu versuchen.
Welche Möglichkeiten der gendersensiblen Sprache verwendest du?
Während des Sprechens gendere ich gewöhnlich ganz einfach durch einen Glottalstopp, also durch eine kurze Pause im Wort. Schriftsprachlich verwende ich einen Asterisk (also »Student∗innen«). Ich weiß, dass es viele Gespräche darüber gibt, dass zum Beispiel »Student:innen« besser sei, da diese Schreibweise von verschiedenen Softwares, Programmen und Readern besser vorgelesen werden könne. Ich habe im Austausch mit einigen Personen, die diese Programme nutzen, aber erfahren, dass der Asterisk häufig ebenso gut vorgelesen werden kann. In meinen kreativen Texten experimentiere ich viel mit ganz unterschiedlichen Formen, erfinde Neues, denke mir irgendwelche Sachen aus. Ich finde, dass es da ziemlich coole Umsetzungsmöglichkeiten gibt. Eine direkte Empfehlung habe ich aber nicht. Nicht so gelungen finde ich das Binnen-I, da es nach meiner Einschätzung sehr binär ist und lediglich Frauen und Männer einbezieht, ebenso die Formulierung »Studenten und Studentinnen«.
Was wünscht du dir im Bezug auf gendergerechte Sprache für die Zukunft?
Ich würde mir wünschen, dass Menschen sich in Zukunft einfach eigenständig darüber informieren, welche Form des Genderns für sie am besten passt und auch nicht alles glauben, was sie irgendwo auf Social Media lesen – beispielsweise ist diese »Student:innen vs. Student∗innen«-Geschichte auf Instagram sehr unhinterfragt abgelaufen, hatte ich das Gefühl.